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Rittergut Gentha bei Seyda, Reg: Bez: Merseburg 15/1 1875
Mein lieber Freund Uhde!
Wir freuten uns sehr über Ihren Brief vom 10 d. M aus dem wir ersähen, daß Sie das
neue Jahr froh und guter Dinge angetreten, mögte es Ihnen doch vollständige Kräftigung bringen,
und uns Sie selbst ins liebe Vaterland; es wäre zu schön, wen[n] Sie zur Uebergabe des H. Denkmals
kämen! Erst seit 3 Tagen bin ich hier und ward mir Ihr Brief hierher geschickt. Ich arbeitete in letzter
Zeit in Hannover an Gypsmodellen, die Howalt in Erz giessen wird. Hier ist nichts als Gegend und freut mich
die vollkom[m]ene halbe Him[m]elskuppel, die wie eine Glasglocke das Stückchen Erde überdeckt, das man über=
schauen kan[n] von der 5 ½ Fuß hohen Augenhöhe
Wundervoll ist doch die Welt! – das Him[m]elsbild hier erdrückt in überwältigender Größe
das ihm zur Unterlage=Stückchen Erde zu Nichts – Aug und Geist erhebt es zu den unendlichen Welten=
raum in dessen Höhen u Tiefen mit unbegreiflichen Hoffen und Sehnen die Seelen zum allgütigen
Schöpfer bewußt u unbewußt im[m]er hinschauen. – Auf hoher See, wo der Him[m]el in sie sich spiegelnd
verschmilzt, sah ich die Him[m]elswölbung nicht so herrlich wie hier auf dieser einfachen Erdunterlage.
Ich habe manch schönes Landschaftsbild gesehen, da war der Him[m]el wie nur zur Verschönerung desselben
da; hier steht er allein durch nichts beeinträchtigt in seiner Pracht.
Ich werde hier bis Ende Februar bleiben, nach Berlin reise ich diesesmal wohl nicht; ich
werde in mein Bergheim eilen; meine liebe Alte bleibt hier bis Ende März u geht ehe sie zur mir auf
den Berg kom[m]t, vorher zu ihrem Bruder Gustav v: Kohlhagen Postmeister in Bayreuth
Ihr Seidler=Buch ist so anziehend geschrieben, daß es sogar mein Sohn Roderich liest; ich möchte auch so
schreiben können – doch jeder hat seine Art. Im S. Buch habe ich eine unklare Geschichte
(a la Nesenbach) gefunden, die in 2tn Auflage wohl erklärt werden müßte - S. reist von Venetig
zu Schiff u zeichnet unterwegs viel und kom[m]t über Bologna, Parma nach Firenze – wie? ist sie
schon an den murazzi vorbei fahrend in Ponte scero [?] gelandet? da hätte sie wenig Zeit zum Zeichnen
gehabt. – Italien ist nicht überall schön – von Bologna [lat. Schrift] geht’s den Apenin aufwärts,
auf der Höhe [er]schaut man rechts das Mittelmeer, links die Adria, nur eine kurze Strecke, dan[n] gehts
über rothe Sandhügel, ohne Baum u Gras, bis fast nach Firenze, nun in Mitte des Wegs eine Albergo [lat. Schrift],
„agli mascheri“ :/ von wo aus man im Thal ein im[m]er brennendes vulkanisches Feuer, bei Nacht sehen kan[n] /:
so reiste man früher – jetzt geht’s unten in den Thälern auf Umwegen per Dampf
Unter meinen Papieren finde ich eines, das ich in Carrara 1839 beschrieben, der Anfang kön[n]te einen Anfang
meiner Aufzeichnungen geben, ich schreibe es ab zur Begutachtung, Ich hatte damals den ersten Gedanken mein Leben
zu schreiben und ahnte damals noch nicht, welche störende Berührungen sich meinem Streben entgegenstem[m]en würden, indem
ich mich unmittelbar dem Volksleben angeschlossen. Mein Leben hat 3 Abschnitte bis jetzt; Meine Kinderzeit bis ich in
meinem 16tn Jahre allein in die Welt hinausmarschirte und vor Eichstädt zuerst katholisches Wesen schaute und dadurch daran
erin[n]ert wurde, daß nun Neues, Fremdes mir kom[m]en werde. Dan[n] die Zeit bis zum Begin[n] meiner großen D. Arbeit