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Hannover d. 26tn October 1875
Lieber Freund Uhde
Der Mensch denkt, Gott lenkt, das habe ich jetzt erfahren; ich war zu
Anfang Octobers willens nach Ludwigsburg u Stuttgart zu reisen u war zu Wein=
lesen eingeladen, wo ich, wie es da zu geschehen pflegt, nicht Trauben gegessen, sondern
gefressen hätte; da regte sich vor ein par Wochen ein Uebel, Nierenstein Leiden;
das in den vierziger Jahren mich lange Zeit krank hielt, nachdem ich bei heftigen
Anfällen, eben am Grabe vorbei gerutscht war; zum Glück rief ich einen Arzt
um wegen meiner Reise ihm meinen Körper Zustand zu beschreiben „Haben Sie
Weintrauben genossen?“ war Dr Brandes erste Frage „es wäre eine schöne Geschichte
geworden, ein lustiger Weinlese Abend!“ – Nun muß ich Vichy trinken,
Ich kon[n]te den Rücken nicht mehr biegen; werde aber bald meine gewöhnliche
Gelenkigkeit wieder erlangt haben – wan[n] Brandes mir das Reisen erlaubt,
kan[n] ich aber noch nicht wissen. Ich wollte von Stuttgart zu Ihnen weiter reisen.
Ich habe nun schnellst hier mir eine Häuslichkeit wieder eingerichtet, was, da
unsere Sachen 5 Jahre aufeinander gepackt lagen, was sie in abscheulichen Zustand
gebracht hatte, viel Mühe u noch mehr Geld gekostet. Nun sind wir in einer Woj=
nung Bokemale 16 wieder wohnlich eingerichtet – eine von mir gemiethete
Werkstätte ist aber noch in Schut u Schmutz des vorigen In[n]habers und kon[n]te ich wegen
meines Unwohlseins noch keine Reinlichkeit in ihr herstellen lassen u stehen all
meine Werke, noch schwarz vom Schmutz, im alte Jahre lang verschlossenen Raume.
„Nehme Dir nichts vor, dan[n] mißlingt Dir nichts“ ein sicher wahres Wort.
Die Reise zu Ihnen gebe ich nicht auf; meine liebe Alte wird nun aber wohl
nicht mit reisen u werde ich auch nicht so lange wie ich gewünscht im Schweizer=
ländli bleiben können – ich muß bal wieder an strenge Arbeit kom[m]en, sonst
sterbe ich an Langweile, eher als an Nierensteinen.
Ich bin in ein paar Tagen mit dem Ordnen meiner Papiere fertig u wird dan[n]
sofort eine kleine Kiste mit denselben per Post Ihnen zugehen. Ich schreibe nun
einen Lebensgang weiter u können die Papiere weiter helfen.
Der verwünschte Irrthum der mir 12000 Mark, statt der 4,000, die mir der
Kaiser jährlich als Ehrengabe giebt, erdichtet, macht viel Ungelegenheiten, durch