Medellín (Antiochia)
Neu-Granada 12. Juni 1854
Geliebte Lina!
Da ich gerade mitten in den Kordilleren stecke,
wo man von Moses und den Propheten wenig zu hören
bekommt, so machen mir Deine allerliebsten Zeilen
vom Anfang dieses Jahres doppelte Freude. Durch
das Unwohlsein unseres vortrefflichen Dr. Eduard und
durch die vielen Umwege welche Dein Brief zu machen
hatte, ist er mir erst heute Morgen zugekommen.
Aber ein eigenhändiges Schreiben aus der berühmten
Hauptstadt Berlin verfehlt selbst nach fünf Monaten
seine Wirkung nicht und da gerade ein Indianer
mit der Post nach Carthagena fortläuft, so beeile
ich mich, Dir meine Grüße ins Ohr zu flüstern
Dein und Deiner Kinder Wohlsein freut mich von
Herzen. Deinem Gemahl danke in meinem Namen für
seine Aufforderung, durch die ich mich sehr geehrt fühle.
Sage ihm, ich sei weder mit Vater Campe noch mit
irgend einem Frauenzimmer verheirathet. Ein großes
Hinderniß zu literarischen Arbeiten liege aber in
dem Stande des Barometers, hier zu Lande gewöhnlich
nicht unter 90 Grad, und in dem Faktum, daß ich
seit anderthalb Jahren nur spanisch und englisch ge-
schrieben, also in meinen deutschen Stil-Uebungen
sehr zurückgekommen sei. Nichtsdestoweniger wolle
ich versuchen, nächstens seinen Wünschen zu entsprechen.
Du weißt, liebe Lina, daß ich mich für Deine Schwester
Helena lebendig interessiere. Ich höre daher gern, daß
sie nicht die Frau des bernburgischen Agamemnons ge-
worden ist, denn das wäre in der Tat zu spaßhaft
gewesen. Aber weßhalb horstet sie jetzt auf dem
ein
[quer am linken Rand
dem alten Bischof Ross könntest Du wohl meine aufrichtige Empfehlung machen.
Sollte Euch Dr. Vehse besuchen, so danke ihm gütigst für seinen Brief, den ich
bald beantworten werde. Meinen Bruder wirst du wohl ncith zu sehen bekommen?
sonst große ihn. Was ist aus Adolph Wentzel, unserm Künstler, geworden?