Soest, am 29t. Decbr. 1827
Mein verehrter Freund!
Sie haben gewiß Ursache, mir zu zürnen, daß ich
Ihre freundliche Zuschrift vom 5t. Aug. d. J. erst jetzt
beantworte, auch haben Sie Recht, mir dieser Verspä-
tung wegen zu grollen, wenn dieselbe allein von
meiner Seite ihren Ursprung hätte; da sie das eben
nicht hat, auch durchaus nicht haben kann, so erwarte
ich meiner Saumseligkeit wegen um desto eher
Ihre weltbekannte gütige Nachsicht. Hätten Sie
noch dazu eben so oft einen Brief von mir erhalten,
als ich an Sie dachte, oder als ich mit den Meinigen
von Ihnen un dden lieben Ihrigen mich unterhielt: so
dürfte ihre Geduld wohl so erprobt worden seyn, daß
Sie den Briefträger aus dem Hause gejagt, oder mir
die Briefe retour geschickt hätten. – Doch, Spaß bei
Seite, ich habe mich nicht wenig gefreut, als ich Ihren
jeweiligen Brief durchgelesen hatte; auch werde ich
denselben als ein Andenken treuer Freundschaft sorg-
fältig aufbewahren. Was bleibt uns auch im ganzen
Leben Größeres, sey es in Wonne, sey es in Schmerz,
als die Erinnerung durchlebter Jahre mit ihren Seg-
nungen un dmit ihren Widerwärtigkeiten von
Freundes Seite? Sey diese Erinnerung noch so süß,
oder sey sie noch so herbe – der Gedanken: ein
Freund fühlte un duldete mit uns, ist in den Nachklän-
gen der Freude und auch des Wehes stärkend & herzerhebend.