Unter der Seidler Freunden erinnert mich Schelling an eine gar komische Geschichte; als
die Relief’s, von denen sie Zeichnungen an Göthe geschenkt, ankamen, waren auch die sogenannten
Elgings Mamore, die Figuren aus dem Giebelfeld der Parthenon in Athen, in Gypsabgüssen dabei und
darunter die liegende schwimmende Figur, Oberkörper ohne Kopf; wir jungen Künstler packten, in
Gegenwart Schelling‘s, der damals noch ein Hauptkunstkrittler war, die Kisten aus, jedes daraus
gehobenes Stück ward mächtigst bewundert und so auch der Schwimmer, Schelling bewunderte brei=
test die Naturwahrheit dieses Fragments und endlich „Eines ist mir nur nicht recht erklärlich,
daß diese Beine so weit aus einander stehen“ – Homerisches nicht enden wollendes Gelächter
entquoll den jungen Künstlerseelen – der berühmte Kunstkenner hatte Arme für Beine
wegen ihrer Naturwahrheit gerühmt gehabt – Sir Schelling war bei uns für alle Zeiten in Nichts
verfallen. Wir streng durch die Langer, Vater und Sohn, streng geschulten Bengel waren den
gelehrten gefühlvollen Haupthähnen wahre Greul – Eines Tages brachte Thiersch eine Menge
Studenten in unsere Antiken Säle und hielt da Vorlesung über die Statuen, sein Geschnack
war höchst ergötzlich und als er von einem über lebensgroßen Antinous Reliefkopf sagte
„es sei eine durchsägte Büste auf eine Blatte als Relief aufgesetzt, nahm ich einen Zirkel
und maaß die Reliefhöhe, wodurch diese dum[m]e Annahme gezeigt wurde und endigte diese
erste und letzte Vorlesung wie Schellings Bein=Arm=Geschichte. Später kündigte Thiersch
eine Vorlesung über die Figuren aus den Giebelfeldern des Tempels auf Argona an, die in der
Glyptothek stehen, er wollte über die Erzstücken, die in den Marmorköpfen eingelassenen, solche
erklärend, sprechen. Wir jungen Heidenkünstler wollten uns auch belehren lassen, Thiersch
machte uns auf die längst gesehenen Stückchen aufmerksam, schnackte über alles das was man sich
darüber schon gedacht und schloß damit, daß man eben nicht genau erklären könne was durch sie an
den Figuren befestigt gewesen war; Wir staunten über solch ungeheure Gelehrsamkeit und
lange nachher wurden unter uns solch ähnliche Thiersische Vorlesungen gehalten. Thiersch war
eine boshafte Kröte. Ich habe meine Steinarbeiten meist nach kleinen Skizzen groß und frei
ausgeführt, woran Kronprinz Ludwig Gefallen fand; ich hatte eine Säule mit darum stehenden
4 lebensgroßen Jahreszeiten Hochrelief Figuren in Sandstein in Arbeit :/ v Sekels Monument am
See im englischen Garten /: und schlegelte, den Rücken gegen den Eingang der Werkstatt, so gewaltig
daß ich den Eintritt zweier Männer nicht hörte, die Köpfe waren noch vierekige Klumpen,
Schallendes Gelächter und die lauten Worte „ja die Köpfe sind nicht edel, Thiersch hat recht“ Kronp.
Ludwig und Klenge waren die Männer und ersterer konnte lange nicht sich beruhigen und mir endlich
auf mein Fragen zu sagen, Thiersch hätte in einem Zeitungsartikel über meine Jahreszeitenköpfe gelästert