Detmold, 9. Oktober 1855
Liebe Betty!
Da meine Zunge nicht hinter meinen Gefühlen
zurück bleiben kann, so verzeihe, daß ich Dich wie
bisher anrede. In Gegenwart anderer werde ich
Dich wieder Fräulein Betty oder Fräulein Tendering
nennen. Gestern Abend erhielt ich Deinen Brief.
Ich weiß nicht, wie oft ich ihn durchgelesen habe.
Seltsam ist es, daß Du an meiner Liebe zweifelst.
Ich verstehe dies nicht. Hoffentlich hältst Du mich einer
solchen Niederträchtigkeit, daß ich Dich nur aus Caprice
lieben sollte, nicht für fähig. Da ich nie diesen Gedanken
bei Dir voraussetzte, so hat mich Deine
Andeutung sehr verletzt. Ich kann sie höchstens daraus
erklären, daß ich neulich sehr unbeholfen und lang-
weilig vor Dir erschienen bin. Aber es war ein
niederdrückendes Gefühl für mich, von allen Seiten,
sogar von Deiner Schwester Bertha zu hören, Du seist
kalt wie ein Stein, unverwundbar von der Liebe
und ich selbst sei ein Thor, das Unmögliche zu versuchen.
Vor drei Jahren sagte mir freilich Deine Schwester
Lina mehr oder weniger dasselbe. Ich besuchte sie damals
in Berlin und als ich aus der Stadt herausfuhr, habe
ich zum ersten Male in meinem Leben vor Liebe
geweint wie der verliebteste Esel. Nicht die
Überzeugung, daß die Leute recht hätten, wenn
sie Dich kalt, stolz und unverwundbar nannten,
mach-