Sie mir jenen Kuß wirklich gegeben hätten, so würde ich
wahrscheinlich schon nach fünf Minuten gar nicht mehr daran
gedacht haben. Ich würde kein Versprechen, keine Ver-
pflichtung Ihrerseits daraus gemacht haben, aber ich würde
froh, ich würde glücklich gewesen sein.
Stattdessen wiesen Sie mich damals mit einer wahren
Eiseskälte zurück, und als ich Ihre Hand faßte, lag sie
regungslos in der meinigen. Ich konnte mir damals
über diesen Umstand nicht genau Rechenschaft geben, aber
ich ging in mein Zimmer und stand wie betäubt und
wünschte Sie nie wieder zu sehen.
Wenn ich heute an die Geschichte zurück denke und dann
Ihre verschiedenen Briefe lese, so sehe ich freilich, daß
Alles bei Ihnen in vollständigem Einklang steht, daß
Sie allerdings kalt wie Stein sind, daß Sie allerdings
den Marmor mehr lieben als Fleisch und Blut – aber
zu Ihrer Ehre will ich glauben, daß dies doch nicht
Ihre wirkliche Natur ist, daß nur ich nicht verstanden
habe dieses harte Herz zu rühren, daß nur ich nicht
verstand, Sie zur Liebe zu begeistern, und daß Sie
doch einst auflodern werden in Feuer und Flammen,
wenn auch nicht für mich —
Ich glaube dies, weil ich an Ihre Unschuld glaube,
an Ihre weibliche Vortrefflichkeit. Ich kann Ihnen daher
nicht zürnen — Alles Unglück komme über mich!
Zwei Punkte muß ich berühren, auf welche Sie
vorzüglich Gewicht zu legen scheinen. Sie sagen, Sie
seien entsetzt zurückgefahren als Sie gesehen hätten, daß
ich Sie besitzen wollte. Ich weiß nicht, ob ich dieses
unglückliche Wort gebraucht habe; ist es geschehen, so
brauchte ich es im edelsten Sinne, denn ich dachte mir
meine Frau wie meine Geliebte, für welche ich arbeiten,
leben und sterben würde, deren Gegenliebe ich mit
jedem Tage mehr verdienen müßte, der ich suchen
woll