St. Thomas. Westindien
16 December 1855.
Liebe Betty!
In diesem Augenblick erhalte ich Ihren
Brief vom 15. November von Civita V[ecchia] und da der
Steamer nach Europa gleich abgeht, so habe ich nur
eben die Zeit, Ihnen herzlich zu danken. Ich
sende Ihnen aber einige Zeilen, die ich neulich auf
der Reise schrieb, als ich noch in Zeit für die letzte
Post zu kommen hoffte, was aber nicht geschah.
Wahrscheinlich hätte ich Ihnen den Wisch gar nicht mehr
gesandt, an dem auch nichts gelegen ist und der
nur deswegen Wert für Sie haben kann, weil
er eben vor 3 Wochen geschrieben wurde.
Ich habe gewünscht, Etwas von Ihnen zu hören,
aber ich hatte nicht den Muth dies zu erwarten.
Daß Sie mir nun wirklich geschrieben haben, das
macht Ihnen Ehre. Sie haben sich allerdings nicht in
meiner Liebe geirrt; ich habe mir in meiner unbe-
dingten Zuneigung zu Ihnen nichts vorzuwerfen,
aber alles kommt mir jetzt wie ein Traum vor;
der Nachmittag in Cöln, der Tag in Bonn, die un-
glückselige Tour nach Elberfeld, unser Zusammen-
sein in Paris und das Wiedersehen in Marseille –
ich verstehe selbst den Zusammenhang nicht davon.
Aber das ließ sich nicht ändern, und wenn ich die
Hand auf’s Herz lege und fühle, daß sich meine
Gesinnungen gegen Sie nicht geändert haben, so
finde ich auch Alles, was geschah, sehr natürlich.
Offen-