Detm. d 6ten Sept. ’56./ Morgens.
Dank – mein lieber getreuer Wilhelm!
für Dein vor ein paar Tagen empfangnes Schrb.
ich empfand es dabey tief im Herzen, wie viel
mir noch geblieben und ich müßte kein echtes
Mutterherz haben, keine Christin sein, wenn
ich mich geflissentl. nur dem Schmerz an den
mir auch vorangegangnen Sohn hingeb. wollte –
da ich ja doch noch so reich an guten, braven
Söhnen bin; Gott sey dafür gelobt! freilich
schließt sich aber auch der Wunsch und das Gebet
gleich an diesen Dank an: o, Herr, erhalte
mir diese! Unter diesen und ähnlichen Ge-
danken ist mir denn schon – bey den Verrichtungen
des gewöhnl. Lebens eine Woche vergangen
seit jener Schreckenspost, und begreife es
oft nicht, wie man nach solch einer Erfahrg.
noch im Stande sein kann, sich denselben
– wenn auch ohne das frühere Interesse –
hinzugeben; es ist aber – wie Frau Ebert
dieser Tage auch sagte: „man wird schon dazu
genöthigt, ja gedrängt, u. es muß so sein“
ja, es muß so sein, wozu wollte nur müßiges
Hintrauern führen? – Du, m. lieber Sohn!
hast freil. eine gewichtigere Aufgabe des
Lebens zu vollbringen, doch auch mehr innre
Kraft, und so legt Gott jedem nur nach
den ihm verliehnen Kräften auf.
Dein körperliches Befinden „scheint“ Dir
besser zu sein, was mich schon wohlthuend
ansprach; der liebe Gott wolle geben, daß