Amsterdam, 3. Octbr. 1832.
Liebster Ludwig!
Endlich muß ich meinen längst gehegten Vorsatz, Deinen letzten Brief
vom 15. März dieses Jahres zu beantworten, wohl einmal verwirk-
lichen, wenn ich mich in Deinen Augen nicht dem Verdachte einer Ab-
nahme meiner Freundschaft zu Dir aussetzen will. Sey überzeugt,
daß nur eine Unzahl von Geschäften und Zerstreuungen (welchen
letzteren man auch bei dem besten Willen nicht ganz aus dem Weg gehen
kann) mich bisher vermochten, ein Stillschweigen gegen Dich zu beob-
achten, welches je länger, desto drückender für mich wird, u.
dem ich daher endlich heute durch einige eng geschreibene Seiten
Luft zu machen gedenke. Ich habe ohnehin so viel und Mancherlei
mit Dir zu sprechen, daß ich im Voraus weiß, daß ich am Schluß
des Bogens im besten Plaudern aufhören muß, und den Brief mit
einer Wiederholung einer schon oft geäußerten, aber leider nichts fruch-
tenden Klage: „ein wie schlechtes Surrogat nämlich für die mündliche
Unterhaltung die schriftliche sey“ siegeln werde.
Mit dem tieffsten Schmerze und der innigsten, aufrichtigsten Theilnahme
habe ich die betrübende Nachricht von dem Tode Deines Schwesterchens
Elise vernommen. Also auch Euerm stillen, frohen Kreise ist auf eine solche herbe
Weise eine blutige Wunde geschlagen, auch Euch hat der Tod unerbittlich
einen heiß geliebten Gegenstand geraubt, und Ihr blickt weinend auf das Grab
eines Kindes, dessen leidendes, stilles Wesen und große Lieblichkeit mich noch bei mei-
nem letzten Dortseyn so freundlich und doch auch so wehmüthig ansprachen. Schon damals
war es mir in einzelnen Augenblicken, als ob diese zarte, kränkelnde Blume
bald in einen andern Boden verpflanzt werden würde – sie ist es jetzt!
Doch, Ludwig! dieser Boden ist gewiß ein schönerer, besserer, als der, in
welchem sie hier stand – dort wird sie sich gewiß zur herrlichsten Blüthe
entfalten, und der schwache, sieche Körper wird dort auf ihr fröhliches
Emporkeimen nicht mehr hemmend einwirken können. Bei keiner andern Gelegen-
heit werden wir wohl mehr in dem Glauben an die Unsterblichkeit befe-
stigt, als bei dem Scheiden unserer Geliebten, und die christliche Religion
weiß uns diesen Glauben auf eine so erhebende und tröstliche Weise darzustellen,
daß er unsern Schmerz wohl in stille Wehmuth, in ein hoffendes Trauern
zu verwandeln vermag. Möchte doch auch Dir, Deinen verehrten
Eltern u. Geschwistern die Zeit ihren Balsam nicht versagt haben, u. Ihr
jetzt, wenn auch nicht ohne Trauer – denn die verliert sich nie! –
doch wenigstens mit Ruhe der theuren früh Hinübergegangenen gedenken
können. Habe die Güte, die Deinigen meines wärmsten Mitgefühls
bei diesem harten Falle zu versichern, u. Ihnen insbesondere noch
die herzlichsten Beileidsbezeugungen von Seiten meiner Mutter, u. übrigen
Soester Verwandten zu überbringen. Auch Carl und Lina haben den Tod ihrer
ehemaligen Gespielin, von der sie sich trotz der Zeit, in welcher sie
sie nicht gesehen hatten, noch so oft u.gern unterhalten, u. sich auf ein
mögliches Wiedersehen freuten, tief bewegt vernommen. –