Die Nachricht, daß Du unter August Kaestner’s Leitung noch das
Englische angefangen hast, war mir so unerwartet, als ange-
nehm, und ich bin überzeugt, daß Dich dieser Schritt nicht gereuen
wird. Ich wüßte, unsre eigene ausgenommen, keine neuere Sprache,
deren Literatur mich so mannigfach angesprochen und angeregt hätte,
als gerade die Englische. Die Franzosen haben mich von jeher kalt
gelassen, und erst, seitdem Feuerköpfe, wie Victor Hugo, Alph. de Lamartine Béranger, Balzac, Jules Janin, Alfr. de Vigny,
Eugène Sué (Verf. von Atar Gull) und Andere die Fesseln gesprengt
haben, mit welchen die Allongeperücken des siècle de Louis XIV
Sprache u. Geschmack ihrer Nation gebunden hatten, bin
ich mächtig von dem Genius gallischer Poesie ergriffen, und
namentlich vonHugo’s unvergleichlicher Lyrik hingerissen wor-
den. – Von den Italienern haben, die Epiker Dante, Ariost
und Tasso ausgenommen, hauptsächlich nur der feurige Ugo Fosco-
lo (durch seine ultime lettere die Jacopo Ortis), Alfieri
u. einige Andere Einfluß auf mich ausgeübt. Die Dichtungen
der Uebrigen, eines Metastasio, Cesarotti, Filicaja u. wie sie
alle heißen mögen, selbst Petrarca’s gefeierte Sonette, haben
mich nie recht ansprechen wollen. – Was endlich die Holländer
anbetrifft, die ich, wie Du vermuthen wirst, seit meinem
Hiersein auch studirt habe, so haben sie, vornehmlich die alten
Hähne, die aber alle lateinisch geschreiben haben, in den
Fächern der Philologie, Geschichte u.s.w. Ehrenwerthes geleistet,
was aber ihre Dichtkunst anbetrifft, so kann ich fast nicht
umhin, Wolfgang Menzels keck hingeworfnes Paradoxon: „hol-
ländische Poesie ist eine contradictio in adjecto!“ zu unter-
schreiben. Die Holländer sind gute Reimschmiede u. Sylbenzähler,
haben aber keine Phantasie, und suchen den Mangel derselben
durch Schwulst und Bombast zu ersetzen. Sollten für Dich u.
Kestner den ich herzlich von mir zu grüßen, u. meines freund-
schaftlichen Andenkens zu versichern bitte, nähere Nachrichten über
die Musen udn Grazien – nicht in der Mark, sondern in
Oud Nederland, von Interesse sein, so werde ich mir ein Vergnügen