zu der mir als Freudendämpfer zuerst im Leben Erbärmlichkeiten stöhrend entgegen traten; und die
dritte Zeit ist mit fortlaufenden Kampfe gegen u mit solchen Erbärmlichkeiten bis jetzt reichlichst gemischt ge=
wesen. Werde ich noch eine vierte schöne ungedrübte Künstlerthätigkeits=Zeit erleben kön[n]en? Abschrift →
Unterhallb des Schiffer= u Fischer Ort’s Lavenza, mit dem kleinen Fortezza auf deren höchsten Spitze eine nackte
Venus Statue von Marmor steht, am Golf von Genova, nahe dem Golf von La Spezzia, lag ich am Meeresrand im
bunten Meeressand, dem Wellenschlag die nackten Füsse zur Kühlung hingestreckt :/ Monat Februar / 1839 / vor mir
am Horizont aus der blau violetenen Meeresfläche das sich erhebende
Felsenbild Corsica’s, links Italiens Ufer gen
Livorno, hinter mir zuerst grüne Flächen zu Rebenhügeln aufsteigend darüber niedere Berge mit Städtchen
und Villen bedeckt in über all diese Lebensvollen Höhen das starre glänzende Marmor Gebirge bei Carrara beginnend, das sich gen Ost
in blauer Form hinstreckt; zur Rechten lagen die Berge um den Golf von La Spezzia mit der Landspitze mit Lerici
ins Meer abfallend und dan[n] wieder der Strich der Meer und Him[m]el scheidet. Allein lag ich in dieser gewaltigen
Schöne; das Meer murrte in melodischen Tönen ihr Wasserlied begleitet vom die Luft erfüllendem Zikaten Geschrille
des Landesliedes. Wer kan[n] die Gefühle beschreiben in denen man beglückt wird so ganz verschmolzen in Gottes herrlicher
Natur. Vom Schwelgen in der äußeren Schöne kom[m]t man zur Bedrachtung seiner selbstigen Hinfälligkeit und in
der feststehenden Natur, auf die uns Menschen geschenkten freien Beweglichkeit und so kam ich zu Rückblicken auf
mein Leben und auf den Gedanken Erlebtes aufzuzeichnen.
Da schreibe Einer wenn ein junger Hirsch im Zim[m]er herumstöbert und zu allgemeiner Belusti=
gung Unfug treibt, wehrt man den Kerl ab, dan[n] stellt er sich einem kampfbereit entgegen.
Menschen sind hier wenige, desto mehr Viehzeugs aller Orten. – Das Wetter ist nun scheußlich,
hoffentlich ist’s bei Ihnen besser und so gut zum Gesundwerden, wie das schlechte hier zum Krankwerden.
Nun wieder weiter zum Seeufer unterhalb der Marmorberge.
Ein Künstlerleben (meines) will ich aufzeichnen zur Erken[n]tniß der freien Bahn, die zu gehen
für die, die sich berufen fühlen die Ergebnisse der menschlichen Lebensläufe durch sichtliche Gebilde
zur stedigen Anschauung, zur Belehrung und Nacheiferung zu bringen; der muß allfreist mit
ungedrübten Sin[n] und Augen der Menschen Thun und ihres Handelns=Folgen überschauen und erken=
nen lernen, um sie in plastischen Momenten zum Ausdruck bringen zu können; sein Standpunkt
muß außerhalb des Menschengewühles stehen; nur Wenigen ist hierzu ein freimachender Lebenslauf
beschieden, nur wenige haben Willen und Kraft genug, um sich selbst solche Stellung verschaffen
zu können; frei muß er sich machen können von dem Drängen der Menschen nach glänzenden
Stellungen, die Ausübung seiner Kunst muß ihm das höchste Streben sein; so unbeirrt handelnd
kann er nur den Standpunkt erringen, von dem er mit gutem Erfolge wirken kann. etc etc
Ich hatte damals schon ersehen können welche Schwierigkeiten meinem Wirken für
Errichtung des Hermann Denkmals mir entgegen treten würden. Nach Weihnachten 1837
reiste ich von Hannover nach Detmold, erst im Juli 1838 kon[n]te ich an meine große Arbeit gehen, Ende October reiste
ich nach Carrara um dort Arbeiten in Marmor einzuleiten, anfangs Mai 1839 kam ich nach Detmold
zurück – und – da gieng das eckele Treiben des Detmolder Vereins los.
Ich fieng meine Lebensgeschichte beinahe vom Wickelkissen an, da das Erlebte aber so
lange her, so kan[n] ich mir keine Jahreszahlen erinnern u muß Geschichtsbücher später zur Hand
nehmen, um die Zahlen nachzutragen – wan[n] kam Bernatotte nach Ansbach? wan[n] capitulirte Ulm?
u . s. f. Ich habe so viel zu erzählen, daß mir vor der Masse bangt. Nun nur darauf los!